Am 17. Mai 2022 stellten die Sprecher der Biebertaler Fußballvereine ihre aktuelle Zahlen zum Kunstrasenplatz-Projekt im SKS-Ausschuss vor – siehe dazu unseren Nachrichtentext vom 1. 6. 2022. Die Beobachtungen dieser Sitzung als Zuschauer motivierten mich, mich einmal aus psychologischer Sicht fachlich mit derartig schwierigen Entscheidungsprozessen zu befassen und hier wissenschaftliche Erkenntnisse darzustellen.
Die Entscheidung um den Kunstrasenplatz ist damit eine reine Metapher für allgemeine Entscheidungsprozesse und die Arbeitsweise unseres menschlichen Gehirns.
Daher sollte Niemand den Text hier als gegen sich oder etwas gerichtet auffassen.
Der Text befasst sich mit systematischen Fehlergefahren, die sich aus dem Aufbau unseres Denkapparates ergeben.
Dabei mache ich mir keinerlei missionarischen Hoffnungen, irgendjemanden überzeugen zu wollen.
Ich stelle lediglich gut dokumentierte wissenschaftliche Erkenntnisse aus den letzten Jahrzehnten vor, die ich hier nur sehr verkürzt zusammenfassen kann und mit lokalen Beispielen würze.
Dabei ist aus vielen Experimenten sehr wohl bekannt, dass wir Menschen Fakten – selbst wenn wir sie kennen – nicht in unsere Entscheidungsfindung aufnehmen, wenn sie unseren Wünschen widersprechen.
Menschen entscheiden nur sehr selten wirklich rational (siehe unten).
Wer seine Eindrücke, Meinung, Wünsche nicht äußert (lautstark oder entschieden vorträgt) oder publik macht,
hat in der öffentlichen Wahrnehmung keine Stimme (und auch im eigenen Kopf keine Repräsentanz = affektbesetzte innere Vorstellung von etwas) …
auch wenn in unserer Demokratie Parteien die Interessen der Bürger/innen vertreten und mit Mehrheiten über die in unserer Gemeinde eingeschlagenen Richtungen entscheiden, die dann von der Verwaltung umzusetzen sind.
Politische Sitzungen sind oft öffentlich.
Vermutlich wünschen sich viele eine Bringschuld der Information von Seiten der politischen Gremien.
Dennoch haben die Bürger eine Holschuld – wobei meist nur wenige Interessenten zu sehen sind.
So haben viele Mitbürger/innen einer Gemeinde, die am Ende die Kosten für angestoßene Projekte – wegen der Notwendigkeit eines ausgeglichenen Haushalts – mittragen werden, keinen Einblick in die Entwicklungen, die in der Gemeinde eine Rolle spielen. Möglicherweise interessieren sie diese auch nicht oder sie sind mit anderen Themen beschäftigt. Wieder andere haben eine Meinung, sehen sich aber nicht in der Lage diese einflussreich zu positionieren. Selbst bei den gewählten Vertretern, die die Belange aller Bürger/innen zu berücksichtigen haben, wirken innere Gesetzmäßigkeiten, die mit der institutionellen wie auch der Natur unseres Denkapparates zusammenhängen.
systematische Schwierigkeiten, die sich aus der Psyche ergeben
Unser Gehirn verarbeitet Informationen über zwei Systeme:
einmal sind da die schnellen, tendenziell unspezifischen, meist unbewussten, eher emotional und erinnerungsbasierten Reaktionen von System 1,
die gut zur Bewältigung von Standardsituationen und für den Selbstschutz passend sind.
Zum anderen ist da das (Millisekunden bis Minuten oder Tage) langsamere, spezifischere und bewusste Denken von System 2;
das u.a. Rechnen (Statistik) und kreativ Lösungen suchen kann.
Als Homo sapiens haben wir uns selbst als “verstehend, weise und vernünftig” eingeschätzt und identifizieren uns mit dem rationalen, einen freien Willen habenden, Gedanken für Gedanken denkenden Aspekt unseres Ich.
Unsere bewussten Entscheidungen wie gedanklichen Fertigkeiten machen allerdings nach der aktuellen wissenschaftlichen Einschätzungen gerade einmal 0,1 – 2 % aus.
z.B. fordert die Aufgabe “14 x 27 =” aufwendige Rechenleistungen von System 2.
Zugleich aber bietet Ihnen das System 1 sofort eine rasche Einschätzung an:
Was meinen Sie, liegt die Antwort dann näher bei 400 oder bei 1400?
Aus der Schnelligkeit, mit der komplexe Fragen beantwortet werden, können wir folgern, dass keine sorgfältige Prüfung vorgenommen wurde – oder dass die eigentliche Frage durch die Beantwortung einer naheliegenden, leichteren Frage erfolgt.
98 – 99,9 % unsere Denkprozesse und Entscheidungsvorbereitungen laufen über das schnelle unbewusste System 1, das vor allem in sich konsistente (zusammenhängende, nach Zusammensetzung, Art, Beschaffenheit in sich stimmig erscheinende, möglichst anschauliche) Geschichten konstruiert, so wie unsere erinnerungsbasierten Assoziationen es gerade ermöglichen und wie es der aktuellen Bedürfnislage bzw. dem aktuellen Erfordernis entspricht.
Dabei arbeitet unser Gehirn nach dem “Prinzip des geringsten Energieaufwandes” (denn entwicklungsgeschichtlich war Nahrung ein ehr knappes Gut) – und aktives Denken erfordert mehr Energie, als automatisiertes, routinemäßiges, standardisiertes:
Sie können das leicht mit z.B. der Aufgabe “1 + 1 =” überprüfen, die für die meisten Menschen ohne viel Nachdenken intuitiv (System 1) mit “2” zu beantworten ist. Ganz anders bei der obigen Aufgabe “14 x 27 =“, dessen Antwort 378 ist.
Für schnelle Lösungsangebote stehen die aktuell verfügbaren Informationen unseres Gedächtnisses im Vordergrund, während die unbekannten Unbekannten, über die man nachdenken könnte (System 2), kaum bedacht werden (sozusagen im Dunkeln bleiben).
Die schnellen, aber unspezifischen Angebote von System 1 sind beim Erkennen und der Abwehr von Gefahren sehr nützlich und auch zur Bestätigung der eigenen Denkweise sind sie verlockend, so sie in der Regel von den langsameren, spezifischeren Denkprozessen (System 2) nicht in Frage gestellt werden.
Denn das vorgeschaltete schnelle Denken (System 1) vernachlässigt Ambiguität (= Zwei- und Mehrdeutigkeit) und unterdrückt Zweifel. Es erzeugt (konstruiert, gestaltet) in sich kohärente (zusammenhängende) und glaubwürdige Geschichten, überbewertet (Halo-Effekt) emotionale Konsistenz (innere Stimmigkeit) und orientiert sich an den eigenen Gruppennormen als Normalität (generalisiert), Dabei werden Datenmengen wegen der besseren Überschaubarkeit einschränkt und oft schwierige Fragen durch leichter zu beantwortende ersetzt usw. *).
Somit ist unser inneres Bild von der Welt für uns passender und zugleich ein anderes, als es die reale Welt ist.
*) In einem Beitrag zum Thema Angst, Dein Freund und Helfer habe ich im Abschnitt >Ungute Reaktionen< eine ganze Reihe solcher systematischer Fehlermöglichkeiten aufgeführt, die schnell passieren.
Ganz allgemein erleben wir Geschehnisse, denen wir unsere Aufmerksamkeit widmen, immerzu so, als ob wir sie mit ein Scheinwerfer im Dunkeln beleuchten (notwendige Datenreduktion; “Was Du sieht ist alles, was da ist” für Dich als Betrachter).
Dabei rücken wir bei der Betrachtung von Themen etwas in den Vordergrund (Fokus) – der nur vor einem Hintergrund (Frame) verständlich wird.
Sowohl der ausgesuchte und in den Mittelpunkt des Interesses gerückte Fokus (das Thema), wie der dazu benannte Hintergrund mehr oder weniger willkürlich, interessengesteuert und mehr oder weniger passend konstruiert, aber nicht konstant. (Fußballer und fußballaffine Menschen präferieren (bevorzugen) vermutlich andere Themen als Boule-Spieler z.B. und der einen Gruppe dürfte ein passendes Spielfeld ebenso wichtig sein, wie der anderen – je verstärkt durch eine Lobby.)
Durch verschiedenste Bezüge (Frames = Rahmungen, wie auch Standpunkte, Haltungen oder Perspektiven) verändern sich die Eindrücke prozessbedingt und können so sehr unterschiedliche Eindrücke wie auch Referenzpunkte erzeugen, die verschiedenste Erwartungswerte produzieren.
Weiterhin ziehen Gedanken, orientiert an solchen Bezugspunkten, eher die Aufmerksamkeit auf sich, wenn eine kontrastierende Alternative in hohem Maße verfügbar ist. Ansonsten sehen wir über die Dauer Gewöhnungseffekte (Anpassungen). Denn von wenigen Ausnahmen abgesehen wird die Aufmerksamkeit mit der Zeit in dem Maße von der einer neuen Situation abgezogen, wie diese immer vertrauter wird.
(Wichtige Ausnahmen stellen chronische Schmerzen, permanenter Lärm und schwere Depression dar. Schmerz und Lärm sind biologisch verankerte Signale, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und eine Depression geht mit einem sich selbst verstärkenden Kreislauf negativer Gedanken einher. Daher gibt es hier keine Anpassung.)
Wiederholungen jedoch (wie z.B. in der Werbung) schaffen mit der Zeit eine Vertrautheit mit einem Thema oder Ergebnis und suggerieren, lassen den Eindruck entstehen, z.B. der Kunstrasenplatz sei eine längst beschlossene Sache – obwohl die Entscheidung in der Gemeindevertretung noch nicht einmal auf der Tagesordnung stand.)
Ähnliches gilt für die “Salamitaktik“, dass Teilentscheidungen Stück für Stück zur Abstimmung gebracht werden, so dass die Summe der Investitionen einen Ausstieg mit Verlust oft nicht sinnvoll erscheinen lässt. So kann es passieren, dass schlechtem Geld noch gutes hinterhergeschmissen wird, statt sich eine Fehlentscheidung oder eine neue Entwicklung und damit eine anders geartete Bewertung der Situation ergeben hat. Die Abneigung etwas zu verlieren ist groß (Verlustaversion). Referenzpunkt ist da in der Regel ein früherer Zustand oder eine vorweggenommene zukünftige Verfügbarkeit.
Die Verlustaversion ist in die automatische Bewertung von System 1 eingebaut. Abhängig davon ob eine Ware, ein Projekt das Merkmal eines Tauschobjektes hat oder zur Nutzung vorgesehen ist, entsteht eine andere emotionale Bewertung. Denn Verlust von Gütern, die man benutzen würde, aktiviert Hirnregionen, die mit Ekel und Schmerz assoziiert sind (verbunden werden). Auch das Erlangen von Gütern aktiviert diese Areale im Gehirn; allerdings nur, wenn der Preis als zu hoch wahrgenommen wird. Ein niedriger Preis als der Referenzwert erzeugt eine lustvolle Erfahrung.
Viele der Optionen, denen wir uns im Leben gegenübersehen, sind “gemischt”: Es gibt ein Verlustrisiko und eine Gewinnchance, und wir müssen entscheiden, ob wir das Risiko eingehen oder nicht.
In der Regel ist die Furcht stärker als die Hoffnung. Daher sind oft kleinere statt große Veränderungen bei der Wahl begünstigt. Andererseits ist zauderndes Verhalten oder der Einkauf billiger Produkte oft im Endeffekt teuer.
“Narrative (erzählte) Verzerrung” ist der Fachbegriff, der beschreibt, wie fehlerhafte Geschichten über die Vergangenheit unsere Weltanschauung und Zukunftserwartungen prägen. Die erklärenden Geschichten, die wir überzeugend finden, sind einfach; sie sind eher konkret als abstrakt und schreiben Begabung, Dummheit und Absichten größere Bedeutung zu als Glück. Sie beziehen sich auf markante Ereignisse, die geschehen sind, und nicht auf die zahllosen Ereignisse, die nicht geschehen sind. Jedes hervorstechende Ereignis aus jüngster Zeit kann zum Kern einer kausalen (Ursache-Wirkungs-)Erzählungen werden.
Bei diesen Bewertungsprozessen sind dann intuitiv Normen als Vergleichsgrößen, Heuristiken (Faustregeln), Erinnerungshintergründe, wie auch aktuelle Eindrücke oder die Meinung von Meinungsführern sehr wichtig und verändern die entstehende Einschätzung einer Sachlage.
Den Fehler, den Menschen bei der Fokusierungs-Illusion (enger Frame) begehen, bezieht sich auf die Beachtung ausgewählter Momente oder Fakten und die Vernachlässigung dessen, was zu anderen Zeiten oder sonst noch geschieht.
Wir neigen hier zum Überbewerten von Ergebnissen kleiner Stichproben, die statistisch wenig aussagekräftig sind, oder zur Überschätzung von dem, was wir gerade im Fokus unserer Aufmerksamkeit haben (Verfügbarkeit: z.B. Corona oder Ukrainekrieg oder einzelne Bauprojekte in der Gemeinde, losgelöst von anderen Erfordernissen betrachtet).
Zugleich werden Risiken unterschätzt, da die Betrachtung des nur engen Bezugsrahmens viele Aspekte ausblendet.
Hinzukommt unsere Tendenz, eher zu Glauben als zu Zweifeln.
Untersuchungen zeigten immer wieder, dass Entscheidungen, bei der die separate Einzelbetrachtung eines Themas gewählt wurde (enger Frame), eher emotional dominiert sind, während bei einer gemeinsamen, vergleichenden Betrachtung ähnlicher oder umfänglicher Themenfelder (erweiterter Frame) die Entscheidungen, den Anforderungen der Rationalität eher gerecht werden.
Allerdings muss man auch hier auf der Hut sein und genau betrachten, wie die Bezüge und Referenzwerte gesetzt werden; welchen (persönlichen bzw. gruppenspezifischen) Interessen hier entsprochen wird.
Das alte Zwei-Systeme-Modell des Geistes, das eine biologische und psychologische Seite getrennt sah, ist inzwischen in ein System vielfältiger Verschränktheiten integriert, in der Negativität und Flucht stärker sind als Positivität und Annäherung. Diese Mechanismen dienen dem Überleben. Hier ist es insbesondere die Amygdala aktiv, die u.a. als Belohungszentrum es Gehirns angesehen wird, die aber auch bei anderen emotionalen Zuständen aktiviert ist.
Da spiegelt sich die evolutionäre Geschichte in den automatischen Funktionen von System 1 wieder. (Darauf komme ich später noch zu sprechen.)
Bei der persönlichen Lebensgeschichte ist die Verwendung der Lebenszeit eines der Elemente, über die ein Mensch mehr oder weniger selbst bestimmen können.
Es ist logisch, die Zeiterfahrung des erlebenden Selbst als eine Folge von Momenten zu beschreiben, denen jeweils ein bestimmter Wert zugemessen wird. Wir könnten das Leben mit all seinen Entscheidungen also als Summe von mehr oder weniger bedeutsamen Momenten auffassen. Aber so werden die Episoden nicht mental repräsentiert (gespeichert). “Im Gehirn vergeht keine Zeit” – elektrochemische Impulse im Gehirn sind heute wie damals oder morgen immer nur elektrochemische Ereignisse im Jetzt.
Unser erinnerndes Selbst erzählt (konstruiert und präsentiert – repräsentiert nicht, wie ein Lebensfilm) uns jedoch Geschichten und trifft Entscheidungen, in denen die Zeit keine angemessene Berücksichtigung findet.
Im Erzählmodus wird eine Erinnerung zu einer Episode durch einige wenige entscheidende Momente dargestellt, insbesondere durch Anfang, Höhepunkt und Schluss. Die Dauer wird vernachlässigt.
Das führt immer wieder zu Einschätzungsfehlern, da erfundene, retuschierte Vergangenheiten zu Fehleinschätzungen bei der Vorhersage von Zukunftserwartungen führen, die dann in der Realität immer wieder korrigiert werden müssen.
Allgemein lässt sich sagen, dass in relativ stabilen Umwelt-(Kontext)-Bedingungen, wie auch für kurzfristige Vorhersagen (wie bei Wettervorhersagen) und mit hinreichend guten Informationen eine relativ gute Vorhersage-treffgenauigkeit erzielen lässt.
Bei Langfristprognosen (z.B. 25-Jahres-Abschätzungen wie beim Kunstrasenplatz) sind die Unwägbarkeiten so groß, dass die Zukunftserwartungen hochgradig spekulativ sind (z.B. auf Kosten-, Vereins- oder Klimaentwicklung).
Es kann ja immer nur mit dem Kenntnisstand von heute gearbeitet werden.
Dabei wird das, was wir gerade sehen (in den Fokus unserer Aufmerksamkeit rücken) für hochbedeutsam gehalten und das, was wir nicht sehen und wissen – zum Teil aber bedenken könnten (wie z.B. Preissteigerungen – wie bei Bauhof- und Feuerwehrneubau, Klimaveränderungen) – wird vernachlässigt; es tritt in den Hintergrund (bleibt aber wirksam).
Hinzu kommt, dass wir uns lieber mit Menschen umgeben, die unsere Meinung bestätigen (in-group), als mit solchen, die andere Haltungen, Perspektiven oder Vorstellungen haben. Damit einstehen Gruppen, zu denen man dazu gehört, während andere eben draußen sind (out-group) … und dort toleriert oder bekämpft werden.
Am Beispiel des Kunstrasenplatzes (was selbstverständlich für alle Projekte, die gerade in der Gemeinde verfolgt werden gilt!) könnte man sagen, dass die Fußballvereine ihre Interessen aus einer verständlichen Innenansicht (Betrachtung des eigenen Einzelfalles = eng gesteckter Frame) vertreten und alle Fakten verständlicherweise so auswählen, dass sie ihren Bedürfnissen entsprechen, während gewählte Volksvertreter eine Außenperspektive einnehmen (sollten), die weitere Aspekte (vergleichbare Projekte, andere Interessen, andere Projekte in Arbeit) mit in den Blick nimmt.
Stimmen die Zielrichtungen der Gruppierungen überein, kommt es zu Beschlüssen, die alle befriedigen.
Weichen die Zielrichtungen der Gruppen voneinander ab, steht man – ob man will oder nicht – mitten in einem Konflikt, so dass am besten in Verhandlungen ein Interessenausgleich gesucht und Lösungen gefunden werden, von denen beide Gruppen profitieren. Dazu muss man miteinander sprechen, unbequeme Fragen zulassen und Lösungen diskutieren.
Am Ende gibt es ja nicht nur die entweder-oder-Lösungen, sondern deutlich mehr gute Möglichkeiten, die den Kontrahenten aber häufig erst in der Kooperation, im Miteinander, statt im Gegeneinander, offenkundig werden.
Unterschiedliche Ziele erzeugen jedoch immer Spannungen. Ambivalenzen oder gar Mehrdeutigkeiten, die schwer auszuhalten sind und leicht eine aggressive Stimmung erzeugen, da die eigene Position, die aus der Innenansicht ja unstrittig erscheint, durch die Außensicht und die dort aufgeworfenen Fragen bedroht werden könnte.
Die Wahrnehmung von Bedrohung wird in unserem Gehirn immer – gegenüber Chancen – privilegiert behandelt, wie es im Interesse der Selbsterhaltung auch sinnvoll ist. Dabei sind selbst symbolische Bedrohungen oder negativ besetzte Wörter (wie z.B. Krieg, Kosten) Hingucker und ziehen die Aufmerksamkeit schneller auf sich, als positiv besetzte (wie z.B. Frieden, Jugendförderung).
In einem Artikel im Gießener Anzeiger vom 16.5.2022 über die Jahreshauptversammlung des TSV Fellingshausen über das „lohnenswerte Großprojekt“, für das der TSV federführend ist, werden solche Aspekt, wie sie oben beschrieben sind sichtbar. Es wird berichtet:
„Der Vorsitzende bedauert, dass inzwischen die Maßnahme durch kommunalpolitisches Störfeuer torpediert werde.“ … „Der Kunstrasenplatz lohne jede Investition, weil sie zukunftsgerichtet sei und vor allem mit Blick auf den Nachwuchsfußball langfristig optimale Rahmenbedingungen für den Sport und Trainingsbetrieb darstelle und den Fußball in Biebertal insgesamt zusammenwachsen lasse, hieß es auch aus der Versammlung. Gerade die Jugendspielgemeinschaft mit ihren über 150 Kindern und Jugendlichen von den Bambinis bis zur A-Jugend sei ein Erfolgskonzept, das auf sein 30-jähriges Bestehen zurückblicken kann.“
Jenseits des Zeitungsberichtes dürfte der gerade gelungen Aufstieg dreier Mannschaften des FSG einen Anreiz zur Belohnung (enger Frame) schaffen.
Sind Güter begehrenswert, betrachten wir Menschen für unsere Abschätzungen des Nutzens einen Referenzpunkt, der sich auf die gegenwärtige Situation, einen erhaltenswerten Status quo oder auch auf einen Zielpunkt (Verfügbarkeitserwartung) beziehen kann.
Wer etwas besitzt oder vermeint besitzen zu müssen/können, erwägt das Unlustgefühl, das mit dem Weggeben verbunden ist. Wenn man etwas nicht besitzt, erwägt man die Lust, die mit dem Erwerb verbunden ist.
Derartige Annäherungs- oder Vermeidungsbewegungen gehören zu den Grundbedingungen unserer Natur.
Dabei ist die Reaktion (der Schmerz) über einen Verlust deutlich stärker, als die Reaktion (das Lusterleben) auf einen entsprechenden Gewinn.
Auch ein Framing von Gewinn oder Verlust bzw. Behalten oder Verlieren übt eine starke Wirkung auf Entscheidungen aus.
Zudem: hat man etwas zu verlieren (und sei es eine Option, eine Möglichkeit) so kämpft man risikofreudiger,
während man bei Gewinnchancen mehr auf sichere, risikoarme Optionen aus ist und eher den Status quo verteidigt.
Leider hat es unser schnelles, energiesparendes, automatisch und mit Heuristiken (Faustregeln) arbeitende Denken (System 1) nicht so mit Summen, Statistik oder Wahrscheinlichkeitsrechnungen (System 2), da diese Funktionen erst viel später in der Evolution vom Großhirn entwickelt wurden,
Selbst Fachleute, die es besser wissen, fällen häufig emotionale, statt rational begründete Entscheidungen.
Denn System 1 arbeitet mit Mittelwerten, markanten Episoden und schnellen Schätzungen, interessiert sich weniger für Summen, Fakten oder die Qualität und Güte von Informationen.
(In der Werbung z.B. wird immer wieder das “Argument” “klinisch getestet” angeführt, aber an wie vielen Probanden, auf welchem Evidenzniveau, mit welchem Ergebnis wurde was genau untersucht? Das “Argument” ist leer, Unsinn.)
Es ist unser Mittelhirn mit seinen affektgeleiteten Bewertungen, das noch vor jeder Vernunft darüber entschiedet, welche Informationen zum jüngeren Großhirn weitergeleitet werden, z.B. ob hungrig, sexuell appetent, müde usw., je nach Motivation oder Stoffwechsellage, sind andere, grundlegendere Belange wichtiger, als vernünftige.
So werden statistische Daten und Sachargumente im schnellen, unbewusst arbeitenden System 1 meist so behandelt, dass sie zur Kenntnis genommen und ad acta gelegt werden,
So werden z.B. die Anzahl der in Biebertal Sport treibenden oder andere förderungswürdigen Interessen verfolgende Kinder nicht in Relation zu den fußballspielenden Kindern gesehen oder eine Gesamtkonzeption entwickelt, aus der heraus man für alle sinnvoll erscheinende Maßnahmen plant. Ökologische Überlegungen werden gegenüber den aktuellen Bedürfnissen zurückgestellt und klein gerechnet, Verkehrsaspekte werden optimistisch eingeschätzt usw., – ähnliche Mängel in der Gesamtplanung werden gerade an verschiedenen Stellen im Ort diskutiert.
Aber auch der Einsatz der knappen verfügbaren Mittel für die Gesamtzahl der geplanten Projekte blieb bislang in der Diskussion weitgehend außen vor; ebenso wie die Belange älterer Menschen, denen Vereinsamung droht.
Unterschiedliche Auffassungen über die mit Projekten (Kunstrasenplatz, Familienzentrum in Königsberg und Fellingshausen, Mehrzweckhalle in Krumbach, Baugebiet und Feuerwehrgerätehaus in Fellingshausen, Pump Track = Mountainbikestrecke oder Bürgerpark in Vetzberg, Straßenbau und vieles mehr) verbundenen Kosten standen neben ökologischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten in der Diskussion von Bürger/innen und politisch Verantwortlichen, Denn die verschiedenen Aspekte müssen gewichtet, beschlossen und bei ausgeglichenem Haushalt getragen werden.
Da sind ein Kunstrasenplatz z.B. oder ein Bürgerhaus nicht das Projekt der Vereine oder nur eines Ortsteils, es ist die gesamte Gemeinde betroffen, die bei den Vorhaben einen erheblichen bis Großteil der Kosten trägt – auch wenn Fördergelder die zu stemmende Gesamtsumme abmildern.
Durch Wiederholungen von Wunschzielen (wie auch der Illusion mit Fördergeldern (Zuschüsse) finanzieren uns andere, was wir gerne hätten) entsteht ein Gefühl von Vertrautheit und kognitiver Leichtigkeit (geringer Arbeitsaufwand beim Denken), vielleicht sogar von Glaubwürdigkeit und ein positiver Enthusiasmus in Erwartung der Machbarkeit.
Allerdings könnte so der Fehler der allzu optimistischen Prognoseschätzungen passieren, wenn die nicht Experten sich die Worte der sich selbst überschätzende Experten beim Wort nehmen. Das kann dann sehr teuer werden.
Bedenken lassen sich immer leicht finden, denn der Rahmen der möglichen Hintergründe sind viele. Andererseits darf nicht nicht entschieden, nicht nicht gehandelt werden. Daher ist Optimismus hoch geschätzt.
Sowohl gesellschaftlich wie am Markt belohnen Menschen diejenigen stärker, die gefährlich irreführende Informationen bereitstellen, als diejenigen die die Wahrheit sagen.
Aus eigenem Erleben kann ich z.B. berichten, dass Ärzte selten das Ausmaß ihrer Unsicherheit angeben und dass sicher erscheinende Kollegen beliebter sind, als unsichere. In der Pathologie, wo die zuvor sicher geglaubten Diagnosen der Kliniker überprüft werden, stellt sich bei Überprüfungen heraus, dass die Todesursache in 40 % der Fälle von der klinischen Diagnose abwich.
Unsicherheit kann lähmend wirken, besonders wenn viel auf dem Spiel steht. Da hält man sich oftmals lieber an vorgebliches Wissen: Die Erfolgsaussicht von 98 %, dass eine OP einen guten Ausgang hat, fühlt sich z.B. deutlich angenehmer an, als die Sorge, dass die OP bei 2 % der Operierten schief geht.
Optimistische Einschätzungen funktionieren leichter, da sie sich auf ein konkretes, vorstellbares Ziel konzentrieren, während pessimistische Erwartungen sich lediglich auf diffuse, nicht näher zu benennende Ereignisse beziehen.
Ein optimistischer Erklärungsstil fördert zudem. laut Martin Seligman, dem Begründer der Positiven Psychologie, auch die seelische Widerstandskraft (Resilienz), indem das eigene Selbstbild verteidigt wird: Der optimistische Stil besteht im Wesentlichen darin, sich Erfolge als eigenes Verdienst anzurechnen, während man sich für Misserfolge nicht tadelt, sie lieber anderen zuschreibt.
Das Hauptproblem der Selbstüberschätzung besteht dann darin, dass der Grad des subjektiven Überzeugtseins von der Kohärenz, Aktualität und Anschaulichkeit der erzählten Gesichte bestimmt wird, die man konstruiert hat,
nicht von der Güte und Menge der Informationen, die die Geschichte stützen oder von rechnerischen Wahrscheinlichkeiten.
Dabei werden negative Erwartungen stärker gewichtet als positive und seltene Ereignisse werden bei negativen Erwartungen eher vernachlässigt, während positiven Erwartungen meist überschätzt werden.
Vorbeugend hat sich der Ansatz der (vor dem Tod =) “Prämortem-Methode” herausgestellt:
Wenn eine Organisation kurz davor steht, eine wichtige Entscheidung zu treffen, aber noch keinen formlichen Beschluss gefasst hat, sollte sich eine Gruppe von Personen, die bestens mit der Entscheidung vertraut sind, zu einer kurzen Sitzung zusammenfinden. Die Sitzung beginnt mit einer kurzen Ansprache:
“Stellen Sie sich vor, wir befinden uns ein Jahr in der Zukunft. Wir haben den Plan in seiner jetzigen Fassung umgesetzt. Das Ergebnis war eine Katastrophe. Nehmen Sie sich bitte fünf bis zehn Minuten Zeit, um eine kurze Geschichte dieser Katastrophe zu schreiben.”
Gary Kleins Prä-mortem-Analyse hat zwei entscheidende Vorteile: Sie überwindet das Gruppendenken, das sich auf viele Teams auswirkt, sobald eine Entscheidung gefallen zu sein scheint, und sie lenkt die Fantasie sachkundiger Personen in eine dringend benötigte Richtung, nämlich Zweifel zuzulassen.
Denn in dem Maße, wie sich ein Team auf eine Entscheidung einigt – insbesondere dann, wenn der Teamleiter seine Meinung kundtut -, werden öffentlich geäußerte Zweifel an der Vorteilhaftigkeit der geplanten Maßnahme allmählich unterdrückt und schließlich sogar als Beleg für die fehlende Loyalität gegenüber dem Team und seinen Anführern behandelt.
Die Möglichkeit, nach Gefahren zu suchen, die bis dahin nicht in Betracht gezogen wurden, begrenzt das mögliche Schadenpotential, die durch die Verzerrungen der Verfügbarkeit von Informationen und durch unkritischen Optimismus in vielen Fällen zu bedenken sind.
Ebenso könnte es hilfreich sein, die Entscheidungsträger vor Beginn einer Debatte ihre Meinung aufschreiben zu lassen. Denn mit dem Statement des (vielleicht sogar charismatischen) Anführers ändert sich häufig die Einstellung der Gruppenmitglieder.
Vielleicht ist der eine oder die andere angeregt, sich das Hörbuch oder die nahezu 600 Seiten des Buches zu Gemüte zu führen. Gerade sehe ich da auf der aufgeschlagenen Seite noch den Satz: “Nach Gottmans Überzeugung erfordert eine stabile Beziehung, dass positive Interaktionen die negativen mindestens im Verhältnis 5 : 1 übertreffen.”
In diesem Sinne, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Respekt, dass Sie den Artikel bis hier verfolgt haben.
Quelle: Daniel Kahneman (Nobelpreisträger für Wirtschaft, Psychologe), Schnelles Denken, Langsames Denken, 2011, 9,Aufl., Siedler